Kannst du dir vorstellen, dass dein Chef eine Software verwendet, um zu beobachten, was du auf deinem Arbeitslaptop tust? Dann kann er deine Slack-Konversationen lesen, E-Mails durchschauen, den Internetverlauf einsehen oder sogar einen Screenshot von deinem Bildschirm machen. Dieses Szenario mag unrealistisch klingen. Mitarbeiter auf diese Weise zu kontrollieren widerspricht unserer Arbeitskultur. Dennoch geschieht die Mitarbeiterüberwachung in Deutschland – seit der Krise sogar mehr.
Für viele Unternehmen ist in diesem Jahr eine völlig neue Situation entstanden, in der ihre Mitarbeiter erstmalig von zu Hause arbeiten. Infolgedessen suchen Manager nach neuen Wegen, um die tägliche Arbeit ihrer Mitarbeiter im Griff zu behalten. Eine Lösung bietet die sogenannte Mitarbeiterüberwachungssoftware. Mit dieser Software können Arbeitgeber detailliert verfolgen und überwachen, was ihre Mitarbeiter tun.
Getapp untersuchte den Einsatz von Mitarbeiterüberwachungssoftware in kleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland. Wir untersuchen die Folgen des Einsatzes der Software für die Beziehungen am Arbeitsplatz, für die Arbeit selbst und für die Privatsphäre der Mitarbeiter.
An der Studie nahmen 1105 Befragte teil. Wir befragten 709 Mitarbeiter und 396 Manager, um die Sicht der zwei Seiten zu bekommen. In diesem ersten Artikel konzentrieren wir uns auf die Mitarbeitermeinung, also die Seite der Überwachten. In einem Folgeartikel werden wir eine Analyse aus der Sicht der Manager bzw. Der Überwachenden veröffentlichen. Die vollständige Forschungsmethodik befindet sich am Ende des Artikels.
Was ist Mitarbeiterüberwachung?
Zunächst ist es wichtig zu klären, was genau Überwachungssoftware ist und welche Regeln für die Nutzung gelten.
Die Überwachung eines Arbeitsplatzes besteht darin, sich Zugang zu den Daten zu verschaffen, die ein Mitarbeiter auf den Geräten des Unternehmens generiert (meist über einen Computer und die verwendeten Anwendungen). Auch Videoaufnahmen des Arbeitsplatzes oder Audioaufnahmen fallen unter die Überwachung. Die Sammlung solcher Daten kann unter anderem dazu dienen, die Sicherheit des Unternehmens und / oder der Belegschaft zu gewährleisten, die Anwesenheitszeiten zu erfassen oder die Produktivität einer Person zu beurteilen.
Ist die Mitarbeiterüberwachung in Deutschland erlaubt?
Grundsätzlich ist Mitarbeiterüberwachung in Deutschland legal, aber Arbeitgeber müssen aus rechtlicher Sicht einige Dinge beachten, um keine geltenden Gesetze zu verletzen. Andernfalls kann es im Zuge von Klagen zu hohen Strafen und Imageschäden kommen. Diesbezüglich gilt es den Schutz des Persönlichkeitsrechts – der sowohl im Arbeitsvertrag als auch im Grundgesetz verankert ist – sowie die Datenschutzgrundverordnung (DSVGO) zu nennen. Beides schränkt Unternehmen bei der Mitarbeiterüberwachung ein. Prinzipiell ist eine solche nur dann zulässig, wenn der Arbeitnehmer seine vorherige Zustimmung gegeben hat und die Überwachung auf Basis der gesetzlichen Vorgaben erfolgt.
Der Arbeitgeber kann und muss die Arbeitszeit der Mitarbeiter erfassen können, daher ist eine Auswertung der Login-Daten als zulässig anzusehen. Anders sieht es aus mit dem Einsatz von Spionagesoftware aus, um die Aktivität des Mitarbeiters aufzuzeichnen. Dies ist nur bei einem dringenden Verdacht einer Straftat oder gravierenden Pflichtverletzung erlaubt. Unternehmen sind weiterhin verpflichtet die Mitarbeiter über die Überwachungsmaßnahmen aufzuklären, zu denen diese einwilligen müssen.
Ein weiteres Beispiel ist die Videoüberwachung. Die offene Videoüberwachung kann zulässig sein, sofern ein legitimer Grund vorliegt. Eine verdeckte Videoüberwachung ist nicht legitim, da die Mitarbeiter nicht zugestimmt haben. Nur in wenigen Sonderfällen ist eine verdeckte Videoüberwachung möglich, wenn beispielsweise ein berechtigter Verdacht auf eine strafbare Handlung wie Diebstahl vorliegt und die Überwachungsmaßnahme gerichtlich genehmigt wurde.
Vor den technischen Überlegungen (Auswahl und Installation der Software) ist eine gewisse Reflexion, begleitet von ethischen Überlegungen, notwendig: Ist die Datenerfassung wirklich gerechtfertigt und welchen Nutzen können das Unternehmen und die Mitarbeiter daraus ziehen? Im Folgenden schauen wir uns die Mitarbeiterüberwachung in Zahlen an und was Mitarbeiter davon halten.
Die Mitarbeiterüberwachung in Deutschland in Zahlen
21 % der Mitarbeiter aus KMU geben an, dass ihr Arbeitgeber ein Tool für die Mitarbeiterüberwachung nutzt. Davon wurde in 10 % der KMU die Mitarbeiterüberwachung bereits vor COVID-19 genutzt, in 11 % der Unternehmen geschah die Einführung durch die Krise.
Wie wir im vorangegangenen Paragrafen gesehen haben, ist es entscheidend die Mitarbeiter konkret über alle Maßnahmen zu informieren. Wir fragten die Mitarbeiter also, wie ihr Management oder Ihre Personalabteilung sie über die Überwachung und ihre Rechte informiert haben.
Der Schlüssel zu Vertrauen und Akzeptanz liegt u. a. in einer transparenten Kommunikation. Es sollte deutlich dargelegt werden, welche Maßnahmen ergriffen werden und welche Ergebnisse auf diese Weise erzielt werden sollen. Die Überwachungsmaßnahmen sollten nicht in Stein gemeißelt sein, sondern im Gegenteil mehrmals im Jahr überprüft werden, um ihre Relevanz und Auswirkungen auf die Mitarbeiter zu beurteilen.
Es ist nicht ausreichend, die Mitarbeiter mündlich zu informieren, sondern es ist notwendig, ihnen die Vorteile der Überwachung zu schildern. Wenn die erwarteten Ergebnisse zu einem besseren Mitarbeitererlebnis und einer höheren Jobsicherheit beitragen, sollte dies auch kommuniziert werden.
Wie werden Mitarbeiter überwacht?
Wir wollen auflisten, in welchen Bereichen Mitarbeiter generell überwacht werden können. Bitte beachte, dass bestimmte Tools zwar auf dem Markt existieren, ihre Verwendung jedoch streng geregelt sein kann. Es ist daher ratsam, sich von Fall zu Fall zu erkundigen.
Funktionen der Mitarbeiterüberwachung:
- Zeitmanagement: Insgesamt auf einzelne Aufgaben verwendete Zeit, auf Projekte verwendete Zeit, Arbeitskalender
- Arbeitslastmanagement: Aufgabenlisten, Arbeitsplan, Ziele und KPIs (Leistungskennzahlen)
- Anwesenheit: Anmelde-/Abmeldezeitpunkt, aktive/inaktive Zeit, Anwesenheit, Krankheitstage
- Computeraktivitäten: Internetzugriff, Zeiterfassung, Webbrowsing
- Aktive und inaktive Zeit: Mausbewegungen, Erfassung von Tastatureingaben, Anmelde-/Abmeldezeitpunkt
- Arbeitsbereich: Videoüberwachung durch Webcams, Zeitrafferfotos oder Screenshots
- Audiogespräche: Telefonnutzung
- Digitale Kommunikation: E-Mails, Chatnachrichten, Videokonferenzen
- Soziale Medien: Nutzung persönlicher Konten
- Standort: GPS und Fahrzeugverfolgung
- Gesundheit und Fitness: Technologien und Wearables zur Messung des körperlichen Wohlbefindens
Nicht alle Arten der Überwachung sind gleichermaßen invasiv oder datenschutzrelevant: Es gibt einen großen Unterschied zwischen der Verfolgung der Anwesenheit oder der Erfassung des Anmelde-/Abmeldezeitpunkt und der Überwachung des Arbeitsplatzes mit Videoaufzeichnungen oder dem Erstellen von Screenshots der Bildschirme der Mitarbeiter.
Hier sind die Aspekte aufgeführt, für die die überwachten Befragten explizit ihre Zustimmung gegeben haben (beispielsweise ein Dokument erhalten haben, das sie darüber informiert und es genehmigt haben).
Die Belegschaft profitiert am meisten von dem Zeit- und Arbeitslastenmanagement. Jedoch werden Mitarbeiter in Deutschland auch darüber hinaus überwacht. Die Überwachung der Computeraktivitäten und des Arbeitsbereiches greift stark in die Privatsphäre der Mitarbeiter ein. Beachte auch, dass 8 % keine Vereinbarung zur Überwachung von Praktiken unterzeichnet haben.
Bestimmte Praktiken sollten mit Bedacht eingesetzt werden. Zum Beispiel sollte die Videoaufzeichnung eines Bildschirms nur zu Schulungszwecken verwendet werden, um alle Angelegenheiten in Bezug auf die Privatsphäre zu respektieren (z. B. Passwörter oder persönliche Korrespondenz).
Einige der Maßnahmen sind offen für Interpretationen, wie z. B. die Produktivität, und sollten einer verhältnismäßigen Beurteilung entsprechen. Zeit, die für eine Anwendung aufgewendet wird, bedeutet nicht unbedingt eine bessere Leistung. Eine Analyse anderer Indikatoren sollte in Betracht gezogen werden, um die Arbeit einer Person sinnvoll zu bewerten.
Mitarbeiter fühlen sich unter Druck gesetzt die Überwachung anzunehmen
63 % der überwachten Mitarbeiter geben an, dass sie sich unter Druck gefühlt haben, die Mitarbeiterüberwachung durch Ihren Arbeitgeber zu akzeptieren. 27 % haben die Überwachung akzeptiert, da sie es wollten und 10 % sind sich unsicher.
62 % der Mitarbeiter, die durch ihren Arbeitgeber nicht überwacht werden, geben an, dass sie der Überwachung nicht zustimmen würden, wenn sie die Wahl hätten. Für die Hälfte wäre es sogar ein Grund (neben weiteren Gründen) das Unternehmen zu wechseln, wenn die Überwachung eingeführt wird.
Dies sollte von Unternehmen bei ihren Überlegungen Überwachungsmaßnahmen einzuführen unbedingt bedacht werden. Es ist wichtig Maßnahmen einzuführen, die Mitarbeitern helfen und dies auch richtig zu kommunizieren.
Wo hat die Mitarbeiterüberwachung ihre Vorteile?
Überwachungsmaßnahme können auch zum Schutz der Mitarbeiter vor Fehlern, Überstunden bzw. nicht genügend Anerkennung dienen. Dies sind die größten wahrgenommenen Vorteile der Mitarbeiterüberwachung:
- Arbeitgeber haben einen besseren Einblick in den täglichen Geschäftsbetrieb (39 %)
- Fehler können erkannt werden, bevor sie schwerwiegend werden (39 %)
- Die Mitarbeiter haben einen Nachweis für ihre getätigte Arbeit (36 %)
- Arbeitgeber haben einen besseren Überblick darüber, wer besonders viel oder wenig Arbeit leistet (34 %)
- Arbeitgeber können sicherstellen, dass Angestellte nie unterbezahlt werden z. B. weil sie viele Überstunden leisten (31 %)
Mithilfe der Mitarbeiterüberwachung können Arbeitgeber leichter feststellen, wie ein bestimmter Mitarbeiter seine Aufgaben erfüllt, was er für eine Einstellung gegenüber dem Betrieb hegt und wie es generell bezüglich der Arbeitsmoral aussieht. Diese Erkenntnisse können dem Arbeitgeber nicht nur dabei helfen, ineffiziente Mitarbeiter zu identifizieren, sondern auch effiziente Mitarbeiter auszumachen, um diese verstärkt zu fördern.
Die Mehrheit der Angestellten findet Mitarbeiterüberwachung negativ
Die Stimmung gegenüber der Überwachung ist in Deutschland eindeutig. Die Mehrheit der Angestellten (62 %) findet, dass Mitarbeiterüberwachungs-Tools allgemein negativ für das Unternehmen sind.
Dies sind die fünf größten Bedenken zur Mitarbeiterüberwachung:
- Eindringen in die Privatsphäre (58 %)
- Negative Auswirkungen auf das Vertrauen (54 %)
- Mehr Stress für das Personal (44 %)
- Negative Auswirkungen auf die Arbeitsmoral (42 %)
- Bedenken bezüglich Datenschutzregeln (41 %)
Erhöhter Stress, geringe Arbeitsmoral und geschädigtes Vertrauen zum Arbeitgeber. Dies sind Konsequenzen, denen sich Unternehmen bewusst sein müssen, die ihre Mitarbeiter überwachen. Arbeitgeber müssen sich überlegen, ob die Vorteile der Überwachung wirklich überwiegen und sie den erhöhten Stress rechtfertigen bzw. ausbalancieren. Weiterhin unterliegt die Überwachung sehr strengen Regeln, einschließlich denen der DSGVO. Bei einem Verstoß gegen die ordnungsgemäße Erhebung bzw. Speicherung der Mitarbeiterdaten drohen Unternehmen schwerwiegende Folgen.
Mitarbeiter haben geringes Vertrauen in ihren Arbeitgeber
Knapp die Hälfte der Mitarbeiter denken, dass das eigene Unternehmen gegen Gesetze verstoßen würde, um Angestellte zu überwachen, die im Home-Office arbeiten.
Arbeitgeber erleben durch die Krise vermehrt Druck, Mitarbeiter im Home-Office zu kontrollieren. Das ist jedoch gar nicht nötig: 87 % der im Home-Office arbeitenden Angestellten geben an zu Hause produktiver (32 %) bzw. gleich produktiv (55 %) wie im Büro zu sein. Lediglich 13 % arbeiten daheim weniger produktiv.
Ist die Überwachung von Mitarbeitern sinnvoll?
Unsere Untersuchung zeigt, dass die Überwachung von Mitarbeitern einen negativen Effekt auf das Arbeitsverhältnis hat. 55 % der Mitarbeiter sagen, dass Überwachungssoftware dazu führt, dass sich ihre Stimmung/Arbeitsmoral verschlechtert.
Es mag Managern mehr Vertrauen in ihre Mitarbeiter geben, aber für die Mitarbeiter fühlt es sich wie ein Zeichen von Misstrauen an. Neben der Überprüfung der legitimen Notwendigkeit der Überwachung gilt es, klar zu kommunizieren, welche Daten erfasst werden und wofür sie verwendet werden, um Unsicherheit und Misstrauen zu vermeiden. Unternehmen sollten ethische Grundsätze für die Verwendung der gewonnenen Daten formulieren und respektieren und den beiderseitigen Nutzen der Überwachung betonen, sowohl für den einzelnen Mitarbeiter als auch für die Organisation.
*Methodik der Umfrage
Für diese Umfrage befragte GetApp 1105 Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigte aus Deutschland, darunter 396 Führungskräfte. Die Umfrage wurde im Mai 2021 durchgeführt. Die Befragten sind über 18 Jahre alt und kommen aus Unternehmen mit 2 bis 250 Mitarbeitern aus verschiedenen Branchen. Die Anzahl der Befragten variiert pro Frage, abhängig von den Antworten auf die vorherigen Fragen.