Vom Fachkräftemangel reden wir ja schon lange – seit einiger Zeit macht jedoch noch ein weiterer Begriff die Runde: Arbeitskräftemangel, also das Fehlen verfügbarer Mitarbeiter, ganz unabhängig von der Qualifikation. Wir haben uns den Arbeitskräftemangel in Deutschland genauer angesehen und eine Umfrage mit Recruitern und HR-Fachleuten aus unterschiedlichen Branchen durchgeführt.

In diesem Artikel
- Arbeitskräftemangel in Deutschland – ist das ein Problem?
- Konsequenzen und Herausforderungen des Arbeitskräftemangels in Deutschland
- Rekrutierungspraktiken in deutschen KMU
- Rekrutierungstools und künstliche Intelligenz
- Wie können Kandidaten überzeugt werden?
- Abschließende Empfehlung: Retention, Retention, Retention!
Wir wollten wissen, ob es aus Sicht der Personalverantwortlichen aktuell wirklich einen Arbeitskräftemangel in Deutschland gibt, und, falls ja, wie sie damit umgehen. Auch interessiert hat uns, welche Praktiken aktuell beim Recruiting zum Einsatz kommen und welche Rolle technologische Lösungen wie Rekrutierungssoftware spielen; insbesondere KI-Lösungen. Dafür befragten wir 293 Personalverantwortliche aus deutschen KMU, die an Aufgaben beteiligt sind, die mit der Einstellung von Mitarbeitern für ihr Unternehmen zusammenhängen. Die vollständige Methodologie befindet sich am Ende des Artikels.
Arbeitskräftemangel in Deutschland – ist das ein Problem?
Zunächst wollten wir wissen, ob unsere Befragten Arbeitskräftemangel überhaupt als Problem sehen. Das Ergebnis ist erstaunlich eindeutig: 76 % der Befragten aus Deutschland gaben an, dass derzeit ein Mangel an Arbeitskräften bestehe.

Ebenso interessant ist, dass über die Hälfte der Befragten angeben, dass der Beginn des Phänomens mit dem Anfang der Covid-Pandemie übereinstimmt, was einen starken Zusammenhang nahelegt.

Es wäre interessant, tiefer zu graben und zu sehen, wie der Ausbruch von Covid zu diesem Ergebnis führte, z. B.: Haben Arbeitnehmer in bestimmten Branchen die Pandemie als Weckruf genutzt, um sich nach neuen Arbeitsplätzen umzusehen?
Konsequenzen und Herausforderungen des Arbeitskräftemangels in Deutschland
Arbeitskräftemangel klingt erst einmal recht abstrakt. Daher haben wir gefragt, welche konkreten Folgen sich daraus für die Unternehmen ergeben. Die häufigsten genannten Konsequenzen waren die Überlastung einiger Mitarbeiter, sinkende Mitarbeiterzufriedenheit sowie die Erwartung, infolge der Mitarbeiterknappheit Umsatzverluste zu erleiden. Direkt hinter diesen drei Top-Nennungen kam mit 40 % die Befürchtung, dass sich Projekte verzögern oder sogar ausfallen müssen.

Umsatzverluste sind selbstverständlich ein ernstes Problem für jedes Unternehmen – die Punkte Überlastung der Mitarbeiter und sinkende Mitarbeiterzufriedenheit wiegen aus unserer Sicht jedoch fast noch schwerer, da hier die Gefahr eines negativen Feedback Loops droht – unzufriedene Mitarbeiter verlassen das Unternehmen und können nicht ersetzt werden, die verbleibenden Mitarbeiter müssen die Mehrbelastung tragen, die Unzufriedenheit steigt, Mitarbeiter verlassen das Unternehmen …
Rekrutierungspraktiken in deutschen KMU
Uns hat interessiert, wie Unternehmen heutzutage vorgehen, wenn Sie Mitarbeiter suchen. Daher haben wir auch nach aktuell angewendeten Rekrutierungspraktiken gefragt.
Diversity
78 % der Befragten gaben an, den Rekrutierungsprozess manchmal (38 %) oder sogar immer (40 %) blind für sogenannte Diversity-Kriterien zu gestalten – beispielsweise, indem Bewerbungen anonymisiert oder Bewerbungsgespräche als einseitiges Videointerview durchgeführt werden. Das ist eine hervorragende Idee: Unternehmen schützen sich so selbst davor, perfekt geeignete Kandidaten aufgrund eventuell bestehender Vorurteile auszublenden.

Datenschutz
Für uns überraschend ist, dass weniger als die Hälfte (43 %) der Befragten sich beim Umgang mit Bewerberdaten strikt an Datenschutzbestimmungen halten. Ganze 22 % geben sogar an, sich nur selten an die Bestimmungen zu halten.

Gamification
Gamification ist ein Trend, von dem man in den letzten Jahren immer wieder gehört hat. Tatsächlich scheint er auch in der Welt des Recruiting voll angekommen zu sein.

77 % der Befragten nutzen Gamification im Rekrutierungsprozess immer (29 %) oder zumindest manchmal (47 %) – beispielsweise, um Arbeitsprozesse zu simulieren oder Wissenstests durchzuführen.
Social Media
Ganze 79 % der Unternehmen prüfen die Profile ihrer Bewerber auf Social Media Plattformen immer (39 %) oder manchmal (40 %). Im Prinzip ist das keine große Überraschung – viele Unternehmen glauben, so einen ersten Eindruck davon bekommen zu können, welche Kandidaten besser zu ihnen passen. Hier ist jedoch Vorsicht geboten: Von der privaten Seite eines Menschen auf seine Leistung im Beruf zu schließen, ist sehr schwierig – Recruiter sehen hier vieles, das zwar ihr Urteil beeinflussen wird (Thema: Vorurteile), aber wenig bis nichts mit dem Beruf zu tun hat.

Dauer des Rekrutierungsprozesses
Fast ein Fünftel (19 %) der befragten Unternehmen lässt zwischen dem ersten Bewerbungsgespräch und dem Unterbreiten eines Angebots gerade einmal ein bis zwei Wochen verstreichen. Über die Hälfte der Unternehmen (57 %) machen ihr Angebot in zwei bis vier Wochen. Gerade einmal 7 % lassen mehr als fünf Wochen verstreichen. Daran zeigt sich für uns eines: Wer mit vielversprechenden Kandidaten redet, sollte sich beeilen, ihn oder sie ins Boot zu holen.

Informationen zum Gehalt
95 % der Unternehmen gibt Infos zur Höhe des Gehalts immer (54 %) oder zumindest manchmal (41 %) schon in den Stellenanzeigen. Die beiden wichtigsten Gründe hierfür sind der Vorsatz, Bewerber im Voraus gut zu informieren (69 %) sowie der Wunsch, Bewerber anzuziehen (65 %).

Rekrutierungstools und künstliche Intelligenz
Mit einem Mangel geht immer auch ein verschärfter Wettbewerb einher – kein Wunder also, dass der Markt für Tools blüht, die Unternehmen bei der Mitarbeitersuche unterstützen. Ganze 92 % der Befragten gaben an, dass neue Technologien (wie z. B. KI) aktuell die Art und Weise verändern, wie Unternehmen Mitarbeiter rekrutieren. 38 % gehen sogar davon aus, dass sich der Rekrutierungsprozess vollständig verändert.

Mehr noch: Ganze 60 % haben neue Technologien für die Personalbeschaffung eingeführt (z. B. automatisierte Tools, KI-Tools usw.) und weitere 37 % sind aktiv an der Verwendung solcher Tools interessiert.
Die Welt ändert sich vor unseren Augen – und das schnell. Welche Funktionen KI im Rekrutierungsprozess übernimmt, variiert dabei stark: Von Chatbots über die automatisierte Auswertung von Lebensläufen bis zur KI-gestützten Kandidatensuche auf Job-Portalen ist alles (und mehr) möglich. Die größten Vorteile ergeben sich dabei für für Unternehmen mit hohem Bewerbungsaufkommen, bei denen in den HR-Prozessen große Datenmengen anfallen. Achtung: Es geht im HR-Bereich immer nur um eine Teilautomatisierung; kein Unternehmen sollte sich blind auf die Auswahl von KIs verlassen. Stattdessen benötigen Unternehmen Recruiter, zu deren Skillset es gehört, KIs einzusetzen, um ihre Workflows zu beschleunigen. Statt sich durch Datenberge zu wühlen, können Recruiter so z. B. mehr Zeit mit den Kandidaten verbringen. KI ist ein Werkzeug, das gewaltige Vorteile bringen kann. Es gut einzusetzen will aber gelernt sein.
Wie können Kandidaten überzeugt werden?
KI und andere technische Hilfsmittel sind Sache, aber am Ende geht es im Rekrutierungsprozess darum, Menschen von einem Arbeitgeber zu überzeugen – und das bedeutet auch, gezielt auf deren Interessen einzugehen. Daher haben wir gefragt, was HR-Experten denken, worauf es Kandidaten besonders ankommt. Die Top-4-Antworten:

An den Antworten fallen uns zwei Dinge besonders auf: Zum einen gibt es keine Antwort, die besonders herausstechen würde; alle Antworten werden mit 33 % als etwa gleich wichtig eingeschätzt.
Interessanterweise haben wir in einer Anschlussstudie gezielt mit Mitarbeitern geredet, die in den letzten 12 Monaten eine neue Stelle angetreten haben. Ohne den genauen Ergebnissen zu weit vorauszugreifen, hier zwei Erkenntnisse aus dieser Studie:
Fragt man Mitarbeiter, warum sie sich auf eine Stelle bewerben, stehen flexible Arbeitszeiten mit weitem Abstand an erster Stelle, danach folgt das Gehalt. Fragt man, warum sie ihre aktuelle Stelle angenommen haben, rückt das Gehalt mit einigem Abstand an den ersten Platz, gefolgt von der Stelle selbst und flexiblen Arbeitszeiten.
Zusammengefasst: Menschen wollen gut verdienen, auch im Beruf Dinge tun, die ihnen Spaß machen – und das am besten dann, wenn es ihnen gerade am besten passt. Eigentlich keine große Überraschung. Fürs Recruiting lassen sich daraus etwas zugespitzt folgende Empfehlungen ableiten:
- Mit flexiblen Arbeitszeiten werben
- Mit dem Gehalt überzeugen
Abschließende Empfehlung: Retention, Retention, Retention!
Rekrutierung ist ein wichtiges Thema, mindestens ebenso wichtig ist aber die Mitarbeiterbindung, oder in Neudeutsch: Employee Retention. Mitarbeiter, die bleiben, sind Arbeitskräfte, die nicht mehr rekrutiert und eingearbeitet werden müssen (ähnlich wie Kundenbindung Aufwand bei der Akquise spart). Ein Thema, das jedoch oft unterrepräsentiert wird, ist das Gehalt. Ja, agileres Arbeiten, Sportangebote und Obstkörbe sind super – machen Mitbewerber das bessere Gehaltsangebot, sind die Mitarbeiter am Ende des Tages ggf. dennoch weg. Unsere abschließende Empfehlung lautet also: Neben der Rekrutierung auch an der Mitarbeiterbindung arbeiten und dabei eine regelmäßige Überprüfung des Gehalts nicht vergessen!
Methodik
An der Studie in Deutschland haben 293 Befragte teilgenommen, die die folgenden Eigenschaften aufwiesen:
- Zwischen 18 und 65 Jahre alt
- Voll- oder teilzeitbeschäftigt
- Arbeiten in einem Unternehmen mit 2 bis 250 Mitarbeitern
- Arbeiten in der HR-Abteilung ihres Unternehmens
- Haben eine der folgenden Positionen in der Personalabteilung ihres Unternehmens
- CHRO (Chief Human Resources Officer) oder gleichwertig
- Vizepräsident der Personalabteilung
- HR-Direktor
- Personalchef
- HR-Generalist
- HR-Mitarbeiter
- HR-Spezialist
(HR-Assistenten und HR-Praktikanten sind aus der Umfrage ausgeschieden)
- Sind normalerweise an Aufgaben beteiligt, die mit der Einstellung von Mitarbeitern für ihr Unternehmen zusammenhängen