In China, wo Live-Commerce seinen Anfang nahm, ist der Trend bereits eine feste Größe im E-Commerce. Hierzulande läuft die Entwicklung eher schleppend, obwohl einige Verbraucher bereits Erfahrungen gesammelt und viele Interesse haben.

In diesem Artikel
- In China bereits ein großer Erfolg, in Deutschland noch in der Testphase
- Vor allem die Mode- und Lebensmittelindustrie ist bei Live-Commerce-erprobten Verbrauchern beliebt
- Live-Shopping-Interessenten haben abweichende Meinungen
- Warum haben 29 % der Verbraucher kein Interesse an Live-Commerce?
- Die Zukunft von Live-Commerce und Tipps für Unternehmen
Was wäre, wenn du unbegrenzt viele Kunden und Interessierte erreichen, ihnen deine neuesten Produkte vorstellen, ihre Fragen beantworten und sie beraten könntest? Und all das virtuell und zeitgleich. Möglich wird das mit Live-Commerce, bzw. Livestream-Shopping, ein Trend, der Online-Shopping mit Live Video verbindet. Einige bekannte Marken testen das Shopping-Format bereits, darunter Douglas, Tchibo, Media-Markt-Saturn und Lidl.
Sind die Deutschen bereit für diese Revolution des E-Commerce? In unserer neuen Studie versuchen wir unter anderem, herauszufinden, wie viele Verbraucher Livestream-Shopping bereits ausprobiert haben, welche Plattformen sie nutzen und an welchen Produkten sie interessiert sind. Ebenso befragten wir Konsumenten, die noch keine Erfahrung mit Live-Shopping, aber Interesse haben, sowie Bürger, die Live-Shopping ablehnen. Da es sich um einen neuen Trend handelt, ist die Nutzung von Live-Shopping auch eine Generationenfrage. Deshalb haben wir einige Antworten der einzelnen Kohorten (von Babyboomern bis Generation Z) separat analysiert. Die vollständige Methodik findest du am Ende des Artikels.
In China bereits ein großer Erfolg, in Deutschland noch in der Testphase
Die Digitalisierung schreitet unaufhörlich voran und damit auch alle möglichen Online-Aktivitäten im Bereich des E-Commerce. So kommt nach und nach auch der ursprünglich aus Asien stammende Trend des Live-Commerce in Europa an. Im Reich der Mitte ist das Livestream-Shopping bereits eine feste Größe, mit 750 Millionen Nutzern in 2022.
Marken und Influencer nutzen Live-Commerce (auch Live-Shopping genannt) zum Vermarkten und Verkaufen von Produkten und Dienstleistungen per Live-Stream auf digitalen Online-Plattformen (z. B. auf Video-Streaming-Plattformen wie YouTube, Social-Media-Seiten wie Instagram, der Website des Händlers usw.). Verkäufe im Fernsehen fallen nicht unter diese Definition. Das Ziel besteht darin, den Käufern ein interaktives Erlebnis zu bieten: Sie können in Echtzeit mit der Marke/dem Host interagieren, Fragen stellen, mit anderen Kaufinteressenten ins Gespräch kommen und mehr. Der Kauf kann entweder direkt auf der Plattform abgeschlossen werden, auf der der Live-Stream stattfindet, oder nach einer Weiterleitung auf der Website des Anbieters.
In einem GetApp-Interview mit Live-Shopping-Experten wird uns der große Erfolg in Fernost damit erklärt, dass Verbraucher beim Einkauf online deutlich mehr Informationen über ein Produkt benötigen als traditionelle Online-Shops bieten können. Da sie beim Online-Einkauf ein Produkt nicht physisch vor sich haben, es in die Hand nehmen, drehen und wenden können, sind sie auf Fotos, Nutzerbewertungen und Produktbeschreibungen angewiesen. Live-Commerce versucht - und das mit Erfolg - diese Barriere zu überbrücken, indem der Host die Ware live und per Video bis ins kleinste Detail vorstellt und Zuschauern die Möglichkeit gibt, Fragen zu stellen, auf die er umgehend antwortet.
In Deutschland ist Live-Commerce noch nicht so weit verbreitet. Obwohl die Mehrheit der Umfrageteilnehmer (67 %) mit dem Konzept vertraut ist, haben hierzulande erst 33 % bereits an einer Live-Commerce-Shopping-Veranstaltung teilgenommen, davon 20 % einmalig und 13 % mehrfach. Allerdings sind die Verbraucher offen für Neues: So gaben 38 % an, dass sie Live-Commerce-Shopping zwar noch nicht ausprobiert haben, aber daran interessiert wären.

In den nächsten Abschnitten untersuchen wir die Ergebnisse dieser drei Teilnehmergruppen: Diejenigen, die Live-Commerce bereits ausprobiert haben, diejenigen, die daran interessiert sind, sowie die Gruppe, die noch nie an einer Live-Shopping-Veranstaltung teilgenommen haben und auch nicht daran interessiert sind.
Vor allem die Mode- und Lebensmittelindustrie ist bei Live-Commerce-erprobten Verbrauchern beliebt
Der Verkauf über die sozialen Medien wird für Unternehmen immer wichtiger. Laut aktueller Prognosen soll sich der durch „Social Commerce” generierte Umsatz bis 2025 verdreifachen. Diese Entwicklung lässt sich auch in unseren Ergebnissen erkennen: So haben 66 % der Befragten, die bereits an Live-Commerce-Veranstaltungen teilgenommen haben, dafür Social-Media-Plattformen wie Instagram oder TikTok genutzt. Damit landet Social Media nach Videostreaming-Plattformen wie YouTube und Twitch, die von 70 % genutzt werden, auf Platz zwei.
Die Gründe für eine Teilnahme am Livestream-Shopping können vielfältig sein: Zum Beispiel, um bei aktuellen Trends auf dem Laufenden zu bleiben, den Überblick über neue Produkte der Lieblingsmarken zu behalten oder aufgrund von Empfehlungen in Familie oder Freundeskreis. Die drei wichtigsten Gründe sind unseren Resultaten zufolge jedoch folgende:
- Um neue Marken und/oder Produkte zu entdecken (34 %)
- Um Produkte online zu kaufen (30 %)
- Zur Unterhaltung (z. B. um eine Live-Demonstration oder unterhaltsame Show zu sehen) (29 %)
Dabei sind Verbraucher insbesondere daran interessiert, Bekleidung und Mode (51 %), Lebensmittel und Getränke (41 %) und Elektronikprodukte in Live-Commerce-Events zu sehen. Das Format kann anscheinend überzeugen, denn nicht nur haben 70 % schon öfters etwas gekauft, das sie beim Live-Shopping gesehen haben. Auch die Zufriedenheitsquote bezüglich der Gesamterfahrung mit dem Live-Shopping ist mit 81 % beachtlich. Davon sind 41 % „sehr” und 40 % „etwas” zufrieden.

Befragte bevorzugen Influencer als Hosts von Livestream-Shopping-Events
Einen entscheidenden Beitrag zum Erfolg eines Live-Streams leistet der Moderator, bzw. der Host. Er fungiert als Aushängeschild der Marke und hat die Aufgabe, die Zuschauer sowohl über das Produkt zu informieren, als auch, sie zu unterhalten und für den Verkaufsgegenstand und die Marke zu begeistern. Und das möglichst authentisch.
Als Host eines Livestream-Shopping-Events können verschiedene Personen in Frage kommen, wie etwa Prominente, Marketing- oder Produktmanager der Marke oder deren Geschäftsführer. Nach Ansicht der Deutschen eignen sich jedoch Influencer (34 %) am besten für die Durchführung von Live-Shopping, gefolgt von Experten für das vorgestellte Produkt (29 %).
Im Generationenvergleich ergibt sich ein klares Stimmungsbild: Da das Influencer-Marketing vorrangig junge Konsumenten anspricht, ist es nicht überraschend, dass jüngere Generationen Influencer als Moderator von Livestreams favorisieren, während den älteren Verbrauchern Produktexperten lieber sind.

Welche Art von Moderator finden Verbraucher am besten, die noch nicht an Live-Commerce-Veranstaltungen teilgenommen haben, aber daran interessiert, und aus welchen Gründen würden sie Live-Shopping nutzen? Das und mehr erfährst du im nächsten Abschnitt.
Live-Shopping-Interessenten haben abweichende Meinungen
Im Gegensatz zur Teilnehmergruppe, die Live-Commerce bereits getestet hat, bevorzugen diese Verbraucher als Host von Live-Shopping-Events mit Abstand (65 %) Experten für das vorgestellte Produkt. Nur 7 % finden, dass sich Influencer für diese Rolle am besten eignen. Auch die Gewichtung unter den Kohorten zeigt, dass im Vergleich zur vorherigen Teilnehmergruppe mehr Einigkeit herrscht: Produktexperten sind für alle die erste Wahl, darunter für 69 % der Generation X, für 60 % der Millennials und für 58 % der Gen Z.
Die Diskrepanz zwischen den beiden Verbrauchergruppen lässt sich vielleicht damit erklären, dass Produktexperten intuitiv als die sinnvollere Wahl erscheinen, um Ware authentisch vorzustellen, obwohl auch sie finanzielle Anreize erhalten. Zum Beispiel, indem sie als Teil ihrer offiziellen Rolle im Unternehmen für die Produktpräsentation verantwortlich sind und dafür ein Gehalt beziehen, oder von Affiliate-Links profitieren, über die sie eine Vermittlungsprovision bekommen. Jedoch umgibt Influencer ein gewisses Stigma, das Misstrauen unter Verbrauchern hervorrufen kann. So wird ihnen bisweilen unterstellt, sich mit Markenkooperationen nur eine goldene Nase verdienen zu wollen und Produkte deshalb bewerben, anstatt tatsächlich davon überzeugt zu sein.
Zu den Themen, warum sie Live-Shopping nutzen würden und welche Plattformen und Produktkategorien sie dafür am meisten interessieren, fallen die Antworten der beiden Verbrauchergruppen mit wenigen Abweichungen ähnlich aus.
So würden die Befragten, die Livestream-Shopping gern ausprobieren wollen, dies vor allem deswegen tun, um neue Marken und Produkte zu entdecken (42 %) und um Waren online zu kaufen (42 %), dicht gefolgt von der Neugier darauf, wie Live-Shopping abläuft (41 %). Mehr als die Hälfte (53 %) würde einen Online-Marktplatz nutzen, wenn sie an einem Live-Einkaufserlebnis teilnehmen würden. Auf Platz zwei und drei landen Videostreaming-Plattformen (51 %) sowie Social-Media-Plattformen mit Videofunktionen (48 %). Die Arten von Produkten, für die sie Live-Shopping nutzen würden, sind vor allem Bekleidung und Mode (60 %), Elektronik (54 %) und Haushaltsbedarf/Dekoration (43 %).

Die größten Vor- und Nachteile von Live-Commerce für Interessenten
Die Vorteile von Live-Commerce sind zahlreich. Neben der eigentlichen Produktpräsentation steht zum Beispiel die Kommunikation mit den Zuschauern im Fokus, meist in Form einer integrierten Chat-Funktion. Der Moderator kann so in Echtzeit auf Fragen und Wünsche reagieren und das Kundenengagement steigern. Ein Gewinn sowohl für Unternehmen als auch für Verbraucher.
Das finden auch die Befragten. Sie haben zwar noch nie an einem Live-Shopping-Event teilgenommen, aber haben eine Meinung zu den etwaigen Vor- und Nachteilen. So nennen sie als größten Vorteil von Live-Commerce die Möglichkeit, zu sehen, wie ein Produkt im wirklichen Leben funktioniert, ohne ein Geschäft betreten zu müssen (63 %). Darauf folgen die Möglichkeiten, Fragen zu stellen und sofort Antworten erhalten zu können (44 %) sowie ausführliche Produktbeschreibungen zu bekommen (42 %).
Wie bei jeder Technologie gibt es allerdings auch beim Livestream-Shopping nicht nur Sonnenseiten. Zu den Herausforderungen zählen mögliche Schwierigkeiten beim Wechsel vom Shopping zum Bezahlvorgang, dass Verbraucher nicht noch stärker von Marken beeinflusst werden wollen, oder dass sie kein Vertrauen zum Moderator der Veranstaltung aufbauen. Nach Angaben der Befragten sind die größten potenziellen Nachteile jedoch die zusätzliche Zeit, die sie am Smartphone oder vor dem Computer verbringen (37 %) und das Risiko, dass die gezeigten Produkte möglicherweise nicht mit den tatsächlichen Produkten übereinstimmen (34 %).

Alt: Die größten potenziellen Nachteile von Live-Commerce
Aufgeteilt nach Generationen fallen die Resultate nicht überraschend aus. Sie bestätigen aber einige Pauschalurteile, die in Bezug auf jüngere versus ältere Kohorten häufig anfallen, wie etwa, dass Jüngere technologisch versierter seien als Ältere, oder dass der Nachwuchs sein Handy zu selten aus der Hand legt. Während Gen Z (54 %) und Y (Millennials) (40 %) als größten potenziellen Nachteil von Live-Shopping-Veranstaltungen angaben, dass sie damit mehr Zeit am Smartphone/Computer verbringen würden, sahen Generation X (37 %) und Babyboomer (34 %) technische Schwierigkeiten als größte Herausforderung. Für die Babyboomer sind allerdings noch zwei weitere Gründe ebenso wichtig:
- Die gezeigten Produkte könnten möglicherweise nicht mit den tatsächlichen Produkten übereinstimmen (34 %)
- Zu viele persönliche Informationen, die ich auf der Plattform angeben muss (34 %)
Um diesen Aspekten entgegenzuwirken, die interessierte Verbraucher davon abhalten könnten, Livestream-Shopping auszuprobieren, könnten Marken ihre Veranstaltungen so kurz wie möglich halten und potenzielle Kunden um ein Minimum an persönlichen Daten bitten.
Indes bekundet längst nicht jeder Interesse am Livestream-Shopping. Im letzten Teil untersuchen wir, welche Gründe Verbraucher für ihre Ablehnung haben und ob sie bereit wären, ihre Meinung zu ändern.
Warum haben 29 % der Verbraucher kein Interesse an Live-Commerce?
Mehr als ein Viertel (29 %) aller Befragten haben noch nie an einem Livestream-Shopping-Event teilgenommen und haben auch kein Interesse daran. Hat das mit Datenschutzgründen oder einfach Angst vor dem Ungewissen zu tun? Oder sind die Konsumenten einfach zufrieden mit den Einkaufsmöglichkeiten, die ihnen bereits zur Verfügung stehen? Tatsächlich erklärten 67 % der Teilnehmer, dass sie mit den herkömmlichen Einkaufsmethoden zufrieden sind. Weitere 31 % wollen nicht noch stärker durch Marken beeinflusst werden und 24 % haben kein Vertrauen darin, wie Videoplattformen mit ihren persönlichen Daten umgehen.
Dies wirft die Frage auf, ob es etwas gibt, das ihre Meinung ändern könnte, Live-Shopping in Zukunft einmal auszuprobieren. Für 42 % lautet die Antwort nein. Sie gaben an, dass nichts sie dazu bringen würde, an einer Live-Commerce-Veranstaltung teilzunehmen. Dagegen sind 25 % nicht so beharrlich und räumen ein, dass sie sich vorstellen könnten, Live-Shopping zu testen, wenn es um bestimmte Produkte oder Dienstleistungen ginge, die ihr Interesse wecken.

Die Zukunft von Live-Commerce und Tipps für Unternehmen
Dass Live-Commerce das Potenzial hat, die Kluft zwischen Online-Shops und stationären Geschäften zu überbrücken, ist einleuchtend. Ob es sich auf lange Sicht in Deutschland etablieren kann, ist allerdings unklar.
Die Meinungen der Verbraucher sind jedenfalls gemischt: 41 % denken, dass Live-Shopping eine Nischen-Einkaufsmethode werden wird, das heißt, nur ein kleiner Teil der Bevölkerung wird es kennen und nutzen. Weitere 38 % glauben dagegen, dass Live-Shopping für die breite Öffentlichkeit zu einer beliebten Art des Einkaufens werden wird.
Warum Live-Commerce sich lohnen kann und Unternehmen sich jetzt frühzeitig positionieren sollten, haben wir hier in zehn Punkten zusammengefasst:
- Live-Commerce verbindet das Einkaufen mit Entertainment und spricht den Kunden auf einer anderen Ebene an als das reine Online-Shopping. Damit wird der Spaßfaktor des Shoppingerlebnises erhöht, was wiederum den Abverkauf fördert.
- Die Möglichkeit, neue Formate (z.B. Reels, Ads) ins Live-Commerce einzubinden, kann das Interesse von Kunden erhöhen und so ihre Verweildauer auf der Plattform verlängern, was sich positiv auf die Conversion auswirken kann.
- Live-Commerce ist ein neuer Vermarktungskanal, mit dem insbesondere jüngere Generationen erreicht werden können.
- Live-Videos binden Nutzer stärker ein und helfen so, eine Nähe zur Marke herzustellen.
- Marken können Kundenfragen sofort beantworten, sie beraten und so Zweifel zerstreuen, die von einem Kauf abhalten würden.
- Als neue und innovative Vermarktungsstrategie könnten Unternehmen, die frühzeitig handeln, einen „Early Adopters”-Vorsprung für sich sichern.
- Mit Live-Commerce kann die Reichweite der eigenen Marke enorm erhöht werden, denn mit nur einem Livestream lassen sich Millionen von Kunden und potentiellen Kunden erreichen.
- Die interaktive Vorstellung eines Produkts bietet Kunden insgesamt einen besseren Überblick als 2D-Websites für das Online-Shopping. Damit kann die Retourenquote reduziert werden.
- Ein langer und umständlicher Checkout-Prozess ist ein häufiger Grund für einen Kaufabbruch: Live-Commerce-Shopping kann mit einem vereinfachten Bezahlvorgang Abhilfe schaffen.
- Durch Chats und Likes erhalten Unternehmen unmittelbar Feedback zu ihren Produkten und können so besser auf Kundenbedürfnisse eingehen und ihre Produkte verbessern.
Methodologie
Um die Daten für diese Studie zu erheben, hat GetApp im April 2023 eine Online-Umfrage durchgeführt. Als Teilnehmer wurden insgesamt 995 Verbraucher zum Thema Live Commerce & Influencer Trust befragt, die mindestens alle paar Monate online einkaufen und mindestens ein paar Mal im Monat soziale Medien nutzen. Weitere Auswahlkriterien waren:
- Wohnsitz in Deutschland
- Zwischen 18 und 65 Jahre alt