Klein-Klein statt strategischer Überblick
In den letzten Jahren wurde „kundenzentriertes“ Arbeiten in Marketing, Service- und Produktentwicklung oft gleichgesetzt mit der Einbindung von „Tools“ und Arbeitsweisen wie Datenerhebung, Design-Thinking und Testing. All diese Faktoren spielen bei der Kundenzentrierung eine Rolle. Für mich ist Kundenzentrierung aber vor allem eines: Leadership. Arbeit am Menschen. Und mit Menschen. Es ist die Art und Weise, wie Unternehmen gemeinsam mit ihren Mitarbeitern die Beziehung zu ihren Kunden gestalten. Oder auch nicht.
Dabei ist wichtig zu verstehen: Kundenzentrierung trägt auch zur Mitarbeitermotivation bei. Bei einem Customer Experience „Leader“ arbeiten 80 % der Belegschaft gern, während bei denen mit durchschnittlicher CX nur 50 % engagiert zur Arbeit gehen (Temkin Group 2016). Die holländische Bank ING hat bereits 2010 die Kundenzentrierung als festen Bestandteil der Mitarbeiterziele verankert – und damit alle Mitarbeiter motiviert, Produkte und Services mit agil-iterativen Prozessen den gemessenen Kundenwünschen immer weiter anzunähern. Mit beeindruckendem Ergebnis: Seit 2014 hat sich der Stamm der Primärkunden um 25 % erhöht. Die Frage ist also, wie kann diese Begeisterung gezielt strategisch für ein Unternehmen genutzt werden? Das System, das ich Ihnen vorstellen möchte, heißt „ Die sieben P der Kundenzentrierung“. Die sieben P geben der Leadership und Zusammenarbeit im Zeitalter des Kunden einen konkreten Rahmen.
1. Paradigmen- und Perspektivwechsel
Customer Experience ist ein Paradigmenwechsel und damit ein strategisches Thema, das Zeit braucht. Es braucht Zeit, die Muskeln von Empathie, vernetztem Denken usw. zu trainieren. Gönnen sie sich und Ihren Teams bewusst Zeit und immer wieder Training für die neuen Perspektiven. Fördern Sie den internen Erfahrungsaustausch hierzu.
Erinnern Sie sich und Ihre Teams stets daran: Customer Experience betrifft nicht nur das Marketing und die Kommunikation Ihres Unternehmens. Es betrifft die digitale Transformation und Zukunftsfähigkeit Ihres Unternehmens. Wenn es etwas gibt, das Sie von Start-Ups und zukunftsfähigen Unternehmen lernen können, dann dass diese Unternehmen die Zugänge zu ihren Kunden, Mitarbeitern und Ressourcen fortlaufend radikal optimieren.
Arbeiten Sie mit Business Intelligence daran, Daten über Ihre Kunden und Wettbewerber zur Entscheidungsfindung stets aktuell als Insights aufbereitet zu haben. Sofern interne Daten hierfür nicht zugänglich sind, empfiehlt sich der Einsatz von „ Social Listening“ für Erstinformationen, um diese schrittweise auszubauen. Je besser Sie Ihre Kunden verstehen, umso gezielter können Sie diesen begegnen.
2. Personas
Fassen Sie die Erkenntnisse über Ihre Zielgruppen in Profilen wie Personas zusammen und stellen Sie diese der gesamten Organisation vor, z. B. auch dadurch, dass solche Profile in Büros aufgehängt und regelmäßig besprochen werden. Customer Experience betrifft die gesamte Firma. Wenn geschäftliche Herausforderungen besprochen werden, hilft es, diese Profile als Bezugspunkt des Gesprächs dabei zu haben.
Fragen Sie sich im Zuge von Entscheidungsfindungen stets gemeinsam im Team:
- Was würde der Kunde denken?
- Was würde der Kunde machen?
- Was würde der Kunde wertschätzen?
- Was kann ich für ein besseres Kundenerlebnis tun?
- Würde ich das mit meiner Mutter machen?
3. Promotoren
Nominieren Sie in Ihren Teams „Kundenbotschafter“. Mitarbeiter, welche besonders dialogfähig sind. Den Kundenkontakt vorleben. Sowohl auf Social Media als auch im Büro. Nicht, weil diese Mitarbeiter besser sind, sondern weil es entlastet, jemanden zu haben, von dem man lernen kann und der vorlebt.
Suchen Sie bei Entscheidungen bewusst den Rat anderer Mitarbeiter. Gerne auch aus ganz anderen Bereichen. Blicken Sie gemeinsam auf die Herausforderung und empathisch auf den Kunden. Die Blickwinkel ergänzen sich. Gemeinsam lösen sich Herausforderungen leichter.
4. Prozesse
Suchen Sie aktiv nach Möglichkeiten, Silos im Sinne des Kunden zu überbrücken und fördern Sie diese! Growth bezeichnet beispielsweise eine agile Methode, bei der die Daten aus unterschiedlichen Quellen im Sinne des Kunden zusammengelegt und verglichen werden, um Hebel für ein besseres Kundenerlebnis und Wachstum zu erzielen. Solche Initiativen brauchen Management-Rückendeckung und -Begleitung.
Fördern Sie das abteilungsübergreifende Lernen voneinander. Je besser Menschen verstehen, worauf Ihre Arbeit abzielt und dass Sie für gemeinsame Ziele und Kunden arbeiten, umso mehr ergibt Ihre Arbeit Sinn.
Setzen Sie auf exzellenten Content. Extern und intern. Inhalte, welche Ihren Kunden und Mitarbeitern auf Augenhöhe wirklich weiterhelfen. Damit ist keine klassische PR gemeint. Sondern das bewusste Eingehen auf Bedürfnisse. Einen Schritt voraus sein. So ist es beispielsweise sinnvoll, beim Zusammenlegen von Bereichen die Fachabteilungen relevante Fragen wie „An wen kann ich mich bezüglich meines Umzugs wenden“ gut vorbereiten und aufbereiten zu lassen. Mitarbeiter sind auch Kunden und wissen kundenzentrierte Maßnahmen, die ihnen bei Herausforderungen helfen, sehr zu schätzen.
5. Plattformen
Räumen Sie Ihr CRM auf: In Zeiten der DSGVO ist es wichtiger denn je, sauber und klar zu haben, welche Kunden ich wie kontaktieren darf. Für ein kundenzentriertes Handeln und ein zukunftsfähiges Geschäftsmodell wie Abos benötigen Sie ein stabiles CRM. Wer als Unternehmer mit der DSGVO in Berührung war, weiß entlastende Werkzeuge zu schätzen.
Sehen Sie die DSGVO als Chance! Dafür, sich auf die Menschen zu fokussieren, welche bereits aktiv Interesse an Ihrem Unternehmen gezeigt haben. Studien zeigen, dass Unternehmen bis zu 95 % ihres Marketing-Budgets dafür verbrauchen, Menschen von ihrem Unternehmen überzeugen zu wollen, die noch gar kein Interesse daran gezeigt haben. Ein weiter, anstrengender Weg. Menschen, die dagegen bereits Interesse gezeigt haben, wissen eine bewusste wertschätzende Kontaktaufnahme zu schätzen.
Nutzen Sie ein aufgeräumtes CRM und ein tragfähiges DSGVO-Fundament dann auch als Ausgangspunkt für das Weiterdenken Ihrer Kunden-Plattformen aus Kundenperspektive. Mit welchem Service können Sie die Problemlösungen Ihrer Kunden auch über den Core-Service hinaus insbesondere digital umfassend unterstützen (Informationsbedürfnis, Interaktion, …)?
6. Performance
Prüfen Sie den Einsatz von Marketing, Vertriebs- und Kommunikationsmaßnahmen nach den folgenden Kriterien:
Inwiefern hilft uns diese Maßnahme im bewussten Kontakt zu diesen Menschen wirklich weiter?
Gibt es bei aller Technologie- und Methoden-Begeisterung vielleicht einen einfacheren Weg, unsere Kunden zu begeistern? Denn: Manchmal ist ein ehrlich gemeinter Anruf „Danke, dass Sie bei uns gekauft haben“ effektiver als jede E-Mail oder Kampagne.
Nehmen Sie Kundenzufriedenheit als KPI für die Bewertung der Arbeit Ihrer Teams mit auf. Gegebenenfalls muss dieser bei einzelnen Teams situativ gewichtet werden. Wenn es jedoch Ihr übergreifendes Unternehmensziel ist, den Kundenkontakt zu optimieren, muss dies auch zu einem Erfolgsfaktor werden.
7. Purpose
Das Herzstück der Beziehung ist Purpose. Sinn. Wertschätzung. Leadership bedeutet in diesem Zusammenhang die Klarheit, dass Mitarbeiter und Kunden in keiner Konkurrenz zueinander stehen. Sie nehmen einander nichts weg, werten einander nicht ab. Im Gegenteil: Sie befruchten sich gegenseitig. Wer begeisterte Kunden will, braucht begeisterte Mitarbeiter – und versteht Mitarbeiter als Kunden. Und als lebendiges Gesicht im Kundenkontakt. Umso wichtiger sind der bewusste Kontakt zu den Mitarbeitern und den Kunden. Der bewusste Einsatz von Ressourcen. Ein #What4. Ein Zweck. Ein Sinn. Ein Rahmen, in dem die Aktivitäten und Ressourcen Sinn machen.
Sorgen Sie dafür, dass Sie Ihren Kunden gegenüber die Serviceversprechen wirklich einlösen und fortlaufend optimieren.
Jeder Kunde vergleicht innerlich den Service eines Unternehmens mit dem „One-Click Dash Button“ von Amazon. Und stellt unterbewusst die Frage: „Wo hast du Unternehmen XYZ meinen Dash Button? Wo muss ich draufdrücken?“. Kaum ein Unternehmen kann diesen Vergleich rein über Prozesse aufnehmen. Amazon ist zu perfektioniert darin. Deshalb muss die Parole lauten: Ja, wir arbeiten auch an den prozessualen Vereinfachungen ähnlich eines Dashbuttons. Für unsere Mitarbeiter. Und unsere Kunden. Aber: Wir machen den entscheidenden Unterschied im Service. Face to Face. Liefern. Mit Freude. Am Menschen.
Über den Autor: Johannes Ceh unterstützt Unternehmen, Digitalisierung an Kunden und Mitarbeitern auszurichten. Kundenzentrierung, neue Formen der Zusammenarbeit und digitale Verantwortung waren bereits während seiner Zeit bei Springer & Jacoby, Jung von Matt, Ogilvy, Sport1, Sky, BMW und Daimler Schwerpunkte seiner Arbeit. Heute gibt Johannes Ceh seine Erfahrungen als Berater und Autor weiter, unter anderem für das Marktforschungsunternehmen Gartner.