Live-Shopping verknüpft Informationen mit Entertainment und soll damit eine neue Dimension des Shopping-Erlebnisses schaffen. Zwei Fachexperten beantworten unsere Fragen rund um das Thema Live Commerce.

In diesem Artikel
Warum lieben wir Online-Shopping? Die schier unendliche Auswahl, die Geschwindigkeit, mit der wir Produkte auswählen, bestellen und geliefert bekommen, und natürlich der Komfort, ein neues Paar Schuhe oder das neueste Tech-Gadget zu kaufen, ohne dafür das Haus verlassen zu müssen: All das sind gute Gründe für den Kauf online, allerdings konzentrieren sie sich ausschließlich auf unsere funktionalen Bedürfnisse. Online-Shopping soll Zeit sparen, bequem und effizient sein.
Dabei kann es auch interaktiv sein und Spaß machen. Live-Shopping verknüpft Informationen mit Entertainment und soll damit eine neue Dimension des Shopping-Erlebnisses schaffen, die Online-Shoppern sowohl Komfort als auch Effizienz und Gamification bietet.
Wir haben mit zwei Fachexperten über das Thema gesprochen und spannende Einblicke in die Welt des Live-Shoppings erhalten:
- Jasmin Wollesen, CEO bei Millennium Technology GmbH und Tapster Media GmbH, zwei Digital-Unternehmen, die auf neue Entertainment-Formate, E-Commerce Lösungen, digitale Unternehmensberatung, Innovationen und individuelle Softwarelösungen spezialisiert sind
- Yaobang Chen, Area Manager bei AKKA & Modis, jetzt Akkodis, einem Unternehmen für Technologien und digitale Lösungen in der Smart Industry.
Wie Live-Shopping begann
Was ist Live-Shopping?
Live-Shopping, Live-Commerce, Live-Stream-Shopping oder Social Shopping: Es gibt viele Begriffe, die jedoch alle dasselbe meinen. Ein Moderator präsentiert einem Publikum aus Online-Shoppern Produkte per Live-Video, also in Echtzeit, die sie umgehend auf der Plattform kaufen können, auf der die sogenannte Live-Streaming-Show stattfindet. Zu den Plattformen gehören zum Beispiel Instagram, YouTube oder TikTok. Der Vorteil gegenüber anderen Formaten des E-Commerce ist, dass ein Produkt im Detail von allen Seiten gezeigt werden kann und dass Kunden per Chatfunktion sofort Rückfragen stellen können.
China: Wir schreiben das Jahr 2016. Die zum E-Commerce-Giganten Alibaba gehörende Einkaufsplattform Taobao verbindet zum ersten Mal Livestream-Übertragung mit einem Online-Shop und bringt damit eine soziale Komponente in das Kauferlebnis online ein. Kunden können gleichzeitig zuschauen, Fragen stellen, sich untereinander austauschen und in Echtzeit einkaufen. Diese neue Idee, Live-Video und E-Commerce miteinander zu kombinieren, erweist sich als Hit. In 2020 erzielte Taobao Live in den ersten 30 Minuten des Singles’ Day, einem chinesischen Feiertag und einem Shopping-Event, das die meisten Verbraucher anzieht, einen Umsatz von insgesamt 7,5 Milliarden US-Dollar. Der Single’s Day ist vergleichbar mit Black Friday.
Mittlerweile hat sich dieser Trend in China fest etabliert, mit um die 50.000 Livestreams und 260 Millionen Views täglich und einem geschätzten Branchenwert von 600 Milliarden US-Dollar (587 Milliarden Euro) bis 2023 (Link in Englisch).
Yaobang Chen erklärt diesen kometenhaften Aufstieg damit, dass die Pioniere des Live-Shoppings etwas Wesentliches erkannt haben: Kunden brauchen im Online-Shopping wesentlich mehr Informationen als herkömmliche Webseiten bieten können.

Der Eindruck, den Kunden von Produkten beim traditionellen Online-Shopping auf E-Commerce-Seiten bekommen, ist dagegen begrenzt. Oft stehen nur Produktfotos zur Verfügung sowie Eckdaten wie Produktmerkmale, Material, Dimensionen, Rezensionen und eventuell eine Produktbeschreibung. Jedoch keine Möglichkeit, das Produkt im Detail von allen gewünschten Winkeln zu sehen, zu erfahren, wie es sich anfühlt oder wie es unter unterschiedlichen Lichteinflüssen aussieht. Die Option, spontan Fragen zu stellen, die einem erst bei der Präsentation des Produkts einfallen, entfallen ebenso. Unternehmen, die erst einmal nicht in Live-Commerce investieren wollen, könnten auf ihren Webseiten als Kompromisslösung stattdessen 360°-Fotos oder Videos von ihren Produkten hinzufügen.
Nur eine Abwandlung des Teleshoppings?
Das Konzept des Live-Shoppings baut tatsächlich auf dem Teleshopping auf, ist jedoch mehr als nur eine Verlagerung vom TV in die sozialen Medien. Teleshopping bleibt für Kunden grundsätzlich passiv, da die Kommunikation nur in eine Richtung verläuft: vom Anbieter an den Kunden. Die aktive Komponente des Live-Shoppings ist ein wesentlicher Unterschied, der dem Shopper einen Mehrwert bieten:
- Die direkte Interaktion mit dem Host über den Chat der jeweiligen Plattform, um zum Beispiel Rückfragen zu stellen oder Meinungen abzugeben.
- Die daraus entstehende größere Nähe zum Produkt sowie zur Brand
- Die direkte Einflussmöglichkeit, indem Kunden Vorschläge für künftige Produktpräsentationen machen können.
Insofern ist Live-Shopping nicht die Abwandlung des Teleshoppings, sondern kann im Zusammenhang mit den fortschreitenden technologischen Möglichkeiten für den E-Commerce wie etwa dem Streaming als dessen natürliche Weiterentwicklung verstanden werden.
Das betrifft nicht zuletzt auch die Zahlungsmöglichkeiten. Während Kunden beim Teleshopping anrufen mussten, um ein Produkt zu kaufen, und für diesen Anruf bezahlen mussten, ist die Kaufabwicklung beim Live-Commerce weitaus bequemer und unmittelbarer. Live-Shopping-Plattformen wie Instagram Live oder Facebook Live bieten eine Online-Schaltfläche, über die sich der Shopper durchklicken und eine Zahlung abwickeln kann, ohne die App zu verlassen.
Mit Live-Shopping starten: Do’s und Don’ts
Bevor ein Unternehmen mit Live-Shopping anfängt, sollte es einiges beachten, um Fehler zu vermeiden und den Live-Shopping-Erfolg zu maximieren: ihre Strategie und den Authentizitätsfaktor.
Strategie: eine 360°-Vorbereitung
Wer glaubt, Live-Shopping bedeutet, einfach nur ein Produkt vor eine Kamera zu halten, und sich dementsprechend wenig vorbereitet, wird vermutlich nicht sehr erfolgreich sein. Genauso wie es auch beim Aufbau einer Social-Media-Community einer Strategie bedarf, bedarf es dieser beim Ausbau des Live-Shoppings. Unternehmen sollten die folgenden Aspekte berücksichtigen::
- Zielgruppe: Unternehmen sollten überlegen, welche Zielgruppe sie mit der Veranstaltung erreichen wollen. Dies hilft bei der Wahl der Plattform sowie der Marketingstrategie.
- Host: professioneller Moderator, Mitarbeiter oder Influencer? Er sollte nicht nur die Produkte und die Marke gut präsentieren können, sondern auch imstande sein, eine persönliche Beziehung zum Publikum aufzubauen.
- Sonderaktionen: Die Zuschauer sind live zugeschaltet und wollen das Gefühl haben, dass sich der Zeitaufwand für sie lohnt. Das können Unternehmen zum Beispiel durch in das Event eingebaute Rabattaktionen erreichen.
- Simplizität: Unternehmen sollten die Veranstaltung so einfach wie möglich gestalten. Sich vorab Gedanken dazu zu machen, wie ein Produkt vorgestellt werden soll und inwieweit Kunden einbezogen, auf Fragen eingegangen werden sollen, ist enorm wichtig, um Vertrauen in das Produkt zu schaffen und die Kaufbereitschaft zu erhöhen.
- Setup: Ein adäquates Studio für die Aufnahme eines Live-Streams zu haben trägt ebenfalls dazu bei, den Publikumsanforderungen gerecht zu werden. Einfache Mittel wie Pflanzen und dekorative Möbel und ein hell beleuchteter Platz sind ein guter Anfang.
- Kaufabwicklung: Ein unauffindbarer „Kaufen”-Button oder Warenkorb kann Kunden schnell abschrecken, einen Kauf abzuschließen. Eine übersichtlicher Check-Out kann stark dazu beitragen, die Konversionsrate zu erhöhen.
Jasmin Wollesen ergänzt: „Der bessere Eindruck, der von einem Produkt durch die Live Präsentation entsteht, sowie die Möglichkeit für Shopper, mithilfe der Chatfunktion Fragen zu stellen, bewirkt, dass die Anzahl der Retouren im Vergleich zu denen eines herkömmlichen Online-Shops enorm minimiert wird.”
- Projektmanagement-Software, um den Überblick über die Organisation und die Beteiligten zu behalten
- Marketing-Kampagnen-Tools, um für die Veranstaltung zu werben
- Social-Media-Management-Tools, um das Engagement und Feedback zu verfolgen
Authentizität: Ein Erfolgsrezept, um das Kundeninteresse zu wecken
Ein weiterer wichtiger Faktor für den Aufbau eines erfolgreichen Live-Shopping-Kanals ist Authentizität. Live-Shows müssen laut Wollesen nicht immer perfekt und fehlerfrei sein. Wichtiger sei es, die Interaktion mit dem Kunden zu nutzen und ihn in die Sendung einzubeziehen.

Chen schließt sich dieser Meinung an und ergänzt: „Konsumenten wollen ehrliche Streamer, mit denen Sie sich identifizieren können, schließlich sind sie die persönlichen Produkttester. Hochglanz ist dann eher etwas für das Endmedium Fernsehen.”
Letztlich wird Authentizität auch dadurch bewiesen, dass der Moderator das Produkt vor der Kamera im Detail vorführt oder testet, womit die Möglichkeiten verringert werden, etwas zu verbergen.
Wie Unternehmen von Live-Shopping profitieren können
Live-Shopping ist nicht nur etwas für Großkonzerne. Auch KMU können damit kostengünstig auf ihr Sortiment aufmerksam machen und ihre Umsätze steigern. Das funktioniert nicht nur im B2C-, sondern auch im B2B-Bereich.
„Während einer Live-Shopping-Show kommen verschiedene Faktoren ins Spiel, die einen Kunden zum Kauf animieren können”, so Wollesen. Dazu gehören ein unterhaltsames Event, die Gruppendynamik, die Interaktion sowie Sonderaktionen.
Da es sich um regelmäßig wiederkehrende Veranstaltungen mit derselben Bezugsperson handelt, haben Live-Shopping-Events zudem das Potenzial, ein Ort der Begegnung zwischen der Brand und ihrer Community zu werden und damit eine persönliche Beziehung zwischen Zuschauer und Host, bzw. der Brand aufzubauen.

Diese Vertrautheit und zuverlässige Regelmäßigkeit verbindet und kann eine enorme Anziehungskraft auf Kunden ausüben. Das kann dazu führen, dass sich die reguläre Interaktion mit einer Marke zu einem Element im Alltag von Online-Shoppern entwickelt, das nicht mehr wegzudenken ist.
Welche Rolle spielen Moderatoren beim Live-Shopping?
Unter Influencer-Marketing versteht man die Zusammenarbeit von Unternehmen und bekannten Persönlichkeiten mit Einfluss und Reichweite, um gezielt Produkte und Dienstleistungen zu vermarkten. Die Einbindung von Influencern in die Marketingstrategie gibt es schon länger, aber ist sie auch auf das Live-Shopping anwendbar? Mit anderen Worten: Sind Influencer ausschlaggebend für den Erfolg von Live-Shopping-Shows?
Wollesen bejaht unter Vorbehalt: „Unternehmen müssen sich die Frage stellen, was im Vordergrund stehen soll: Das Produkt oder die Emotion. Wenn die emotionale Bindung an den Influencer hoch ist und das Produkt auch zu ihm/ihr passt, kann er/sie einen entscheidenden Beitrag leisten, zumal Influencer bereits Kameraerfahrung mitbringen.”
Der Einsatz von Influencern hat außerdem den Vorteil, dass sie ihre Follower am besten kennen und somit einen für diese Gruppe relevanten und authentischen Content kreieren können. Folglich sollte das Zielpublikum der Marke entweder dasselbe sein wie das des Influencers, bzw. empfänglich für dessen Stil. Oder der Host sollte in der Lage sein, auch andere Menschen anzusprechen.
Glaubwürdigkeit spielt im Zusammenhang mit Influencern und im Grunde allen Live-Shopping-Hosts ebenfalls eine große Rolle. Da ihr Erfolg rund um ihre Integrität und ehrliche Bewertung von Produkten beruht, wird ihre Meinung häufig als glaubwürdiger wahrgenommen als beispielsweise eine von der Marke produzierte Werbung.

In dem Fall, dass Unternehmen sich Influencer nicht leisten können, wäre eine Alternative, einen interessierten und talentierten Mitarbeiter als Live-Shopping-Moderator einzusetzen, der vielleicht sogar schon Kameraerfahrung mitbringt. Immerhin sollten die eigenen Mitarbeiter die Produkte am besten kennen. So können Unternehmen idealerweise ihre eigenen Influencer hervorbringen.
Wird der Trend des Live-Shoppings den E-Commerce-Sektor nachhaltig verändern?
Wie bei vielen neu aufkommenden Trends ist die Frage: Vergeht er wieder oder setzt er sich durch?
Neben einem großen Potenzial bringt Live-Shopping nämlich auch Herausforderungen mit. Neben einer starken Strategie bindet der Aufbau eines Live-Shopping-Kanals Ressourcen, und das in regelmäßigen Abständen. „Ein solches Investment schreckt ab”, sagt Chen. „Dazu kommt, dass Live Streaming wie jedes neue Produkt beworben werden muss.” Eine Aktivierungsstrategie ist dringend notwendig, um die Zuschauer auf den neuen Stream aufmerksam zu machen.”
Wollesen ist dennoch von der Zukunftsfähigkeit des Live-Shoppings überzeugt und glaubt nicht nur, dass der Trend den E-Commerce Sektor nachhaltig ändern wird, sondern auch den Sektor der TV- und Contentseiten sowie Online-Magazine.
Chen sieht neben den Möglichkeiten des Live-Shoppings vor allem die Kosten als Schwierigkeiten für dessen Realisierung: „In Europa sind Kosten rund ums Internet und Streaming enorm hoch, in Asien ist das ganz anders. Es muss sich an den Kostenstrukturen etwas ändern. Je etablierter Live Streaming ist desto eher wird auch hier der Markt kompletiver.”
Unternehmen sollten sich stets über neue Entwicklungen auf dem Laufenden halten und aufmerksam sein, um den Anschluss nicht zu verlieren und Chancen für Wachstum nicht zu verpassen.